Wurmsache Dr. Travel

Monika macht eine Lehre zur Fachfrau Betreuung EFZ in einer Kindertagesstätte. Sie steht kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung. In den Sommerferien reist sie mit ihren Eltern und Geschwistern nach Indonesien – der Startpunkt ist Bali. Von dort geht es weiter zu den Gili-Inseln und nach Lombok. Nach einer Woche voller Sonne und Meer fahren sie mit dem Schiff nach Komodo. Zwei Wochen später kehrt die Familie gesund und erholt nach Hause zurück.
Einige Tage nach der Rückkehr fällt der Familie jedoch auf, dass Monika ungewöhnlich reizbar, nervös und unkonzentriert ist. Auf Nachfrage klagt Monika über starken Juckreiz im Analbereich. Gemeinsam mit ihrer Mutter sucht sie die Hausärztin auf. Diese verschreibt eine Salbe gegen den Juckreiz und empfiehlt zusätzlich eine jugendpsychiatrische Abklärung. Die Psychiaterin findet jedoch keine Auffälligkeiten. Sie erklärt, dass Monikas Beschwerden wohl mit dem Übergang ins Erwachsenenalter zusammenhängen, und beruhigt die junge Frau, dass sich alles bald legen werde. Da Monika und ihre Mutter den Verdacht haben, dass die Symptome vielleicht mit der Reise nach Indonesien zu tun haben könnten, kommen sie nach einiger Zeit zu mir in die Praxis. Ich führe einen sogenannten Klebestreifentest durch – eine einfache Methode, um einen Wurmbefall festzustellen. Dabei wird ein handelsüblicher Klebestreifen morgens, noch vor dem Duschen, kurz auf den Darmausgang gedrückt und anschliessend auf ein Glasplättchen geklebt. Dies geschieht an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, um die Treffsicherheit des Tests zu erhöhen.
Monika bringt mir die Proben, und unter dem Mikroskop finde ich massenhaft Eier von Oxyuren – das sind winzige, 8 bis 13 Millimeter lange Madenwürmer, die im menschlichen Darm leben. Man nennt sie auch Zwergfadenwürmer. Diese Würmer legen ihre Eier in der Nähe des Afters ab, was den typischen nächtlichen Juckreiz verursacht. Wenn sich Betroffene dort kratzen, können Eier unter die Fingernägel geraten und so leicht weitergegeben werden – zum Beispiel durch Händeschütteln oder beim Umgang mit Lebensmitteln. Die Behandlung erfolgt mit einer Wurmkur, ähnlich wie man sie von Haustieren kennt, allerdings mit speziell für Menschen zugelassenen Medikamenten. Die Einnahme erfolgt an Tag 1 und nochmals an Tag 7. Schon zwei Tage nach der ersten Dosis verschwindet Monikas Juckreiz, und sie kann endlich wieder ruhig schlafen. Interessanterweise hat sich Monika mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht während der Reise in Indonesien angesteckt, sondern in der Kita – also an ihrem Ausbildungsplatz. Dafür spricht der Zeitpunkt, an dem die Beschwerden aufgetreten sind. Die Inkubationszeit beträgt etwa drei bis sechs Wochen.
Oxyurenbefall ist bei Menschen keine Seltenheit, vor allem in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen. Monika meldet den Befund ihren Vorgesetzten, damit gegebenenfalls auch andere Kinder oder Mitarbeitende informiert werden können. Später schmunzelt Monikas Mutter. Sie fragt sich, weshalb sie bei der Familienkatze zweimal im Jahr ganz selbstverständlich eine Wurmkur durchführt – aber bei der eigenen Familie noch nie an Würmer gedacht hat.