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Gemeiner Holzbock Dr Travel

Rebeka liebt die Natur und unternimmt oft Velotouren und Wanderungen überall in Europa. Sie meldet sich notfallmässig in der Praxis – mit Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und motorischer Unsicherheit in beiden Händen. Dazu zeigt sie mir einen lila verfärbten, kreisrunden Ausschlag am linken Unterarm mit einem Durchmesser von neuneinhalb Zentimetern. Ich tippe auf einen Zeckenbiss und eine daraus resultierende Borrelieninfektion. Obwohl bei einer Borreliose die Farbe des Ausschlages typischerweise rot ist, nehme ich eine Blutprobe und rate, sofort mit einem Antibiotikum anzufangen. Die Patientin möchte aber lieber noch abwarten. Rebeka ist nicht gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) geimpft. Zwei Tage später erhalte ich die Resultate der Blutprobe. Es zeigt sich eine frische Borrelieninfektion. Rebeka geht es unterdessen schlechter, jetzt ist sie auch bereit, mit Antibiotika zu behandeln. Nach weiteren zwei Tagen ist der Hautausschlag weg, aber sie ist noch müder. Ausserdem ist ihr linker Arm stellenweise gelähmt, Fieber und Kopfschmerzen sind geblieben. Nach weiteren Abklärungen mit dem Labor steht am folgenden Tag die Doppeldiagnose fest: Borreliose plus FSME.
Die Borreliose oder Lyme-Krankheit wird durch den Biss einer infizierten Zecke übertragen. Das erste Symptom ist oft eine örtliche Rötung an der Stichstelle, die sich langsam vergrössert und oft ringförmig aussieht. Mit der Zeit können Gelenkbeschwerden oder auch Probleme im Nervensystem auftreten. Borreliose ist die häufigste durch Zecken übertragene Infektion in Europa, Nordamerika und Asien. Die Therapie mit einem Antibiotikum ist in der Regel erfolgsversprechend. Eine Impfung gegen die Borreliose existiert nicht.
Die FSME oder Zeckenencephalitis ist eine Entzündung des Hirns und der Hirnhäute. Auch FSME wird durch Zecken des Typs Ixodes ricinus (gemeiner Holzbock) übertragen, die häufigste europäische Zeckenart. Eine spezifische Therapie gibt es nicht. Die Behandlung ist auch bei Rebeka symptomatisch. Das bedeutet: Schmerzmittel und Abwarten. Als Prophylaxe gegen FSME gibt es eine wirksame Impfung. Sie umfasst eine Grundimmunisierung mit zwei Dosen im Abstand von zwei bis vier Wochen und einer weiteren Dosis nach einem Jahr. Wir empfehlen, die Impfung alle sechs Jahre aufzufrischen. Und Rebeka? Dank der Antibiotikatherapie erholt sie sich schnell von der Borrelieninfektion. Die FSME quält sie aber noch monatelang. Weil Rebeka extrem müde ist, kann sie 14 Wochen lang nicht arbeiten – als Selbstständige und nicht Taggeld-Versicherte ist das ein erheblicher finanzieller Schaden. Bis sie sich von der Lähmung im linken Arm erholt, vergehen zehn Wochen. Wo die fiese Zecke zugebissen hat, weiss die Patientin nicht, sie hat den Biss nicht bemerkt. Insektenschutz hilft gegen Zecken wenig. Um sich vor Zecken zu schützen, trägt man am besten lange Kleidung und vermeidet den Aufenthalt im Unterholz – was zum Beispiel beim Pilzesuchen im Herbst fast nicht möglich ist. Zecken können bis zum ersten Frost zubeissen. Wenn das passiert, sollte man die Viecher mit einer speziellen Zeckenzange oder einer Pinzette unter leichtem Zug entfernen.
Für Rebeka ist es zu spät für eine Zeckenimpfung, sie ist jetzt auf natürliche, schmerzliche Weise immunisiert. Ihre ganze Familie jedoch kommt für die FSME-Impfung in die Praxis.