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Marcs Abenteuer startet in Kirkenes in Nordnorwegen. Mit zwei noch unbekannten Mitreisenden und dem Reiseleiter Espern will er die Grenzregion von Norwegen, Russland und Finnland erkunden. Die Vorbereitung auf das Abenteuer beginnt im Norvegian lnstitute of Bioeconomy Research (NIBIO) in Svanvik an der norwegisch-russischen Grenze. Das NIBIO ist eines der grössten Forschungsinstitute in Norwegen. Marc und seine Mitreisenden lernen hier, wie sie sich richtig anziehen, wie der Schlitten gepackt und gezogen wird, wie man das Zelt aufbaut, darin eine Küche einrichtet und kocht. Marc beschliesst, mit seinen eigenen, gut eingelaufenen Stiefeln anstelle der Winterstiefel des Veranstalters zu starten. Dann geht es los. Auf der ersten Etappe ist die Gruppe auf einer präparierten Schneemobilspur unterwegs. An einem See schlagen die Abenteurer das erste Mal die Zelte auf. Tagsüber ist es hier minus 21 Grad kalt, in der Nacht sogar minus 31 Grad. Am zweiten Tag erreicht die Gruppe dann auf den Skiern den sogenannten Haglklumpen an der finnischen Grenze. Der Berg ist 338 Meter hoch und bietet einen spektakulären Rundblick über die Region. Der Ort eignet sich, um die Zelte aufzuschlagen. Abends im Zelt bemerkt Marc am linken Fuss eine Schwellung an den Zehen. Am frühen Morgen erwacht er mit Schmerzen an beiden Füssen. Am linken Fuss hat sich eine Blase gebildet, und die Zehen haben sich blaurot verfärbt. Trotzdem wandert die Gruppe weiter und übernachtet am Fuss des Haglklumpen. Mittlerweile haben sich an Marcs beiden Füssen schmerzhafte Frostbeulen gebildet. Reiseleiter Espern kocht im Zelt Wasser und versucht, mit Tüchern, die er im warmen Wasser getränkt hat, die Füsse langsam aufzuwärmen. Am nächsten Morgen ist es für Marc jedoch unmöglich, die Schuhe anzuziehen. Weiterwandern geht nicht! Zum Glück Iiegt das Lager nahe der Strecke des längsten Hundeschlittenrennens Europas. Espern überzeugt einen trainierenden Sportler, Marc mit dem Hundeschlitten zurück ins NIBIO zu bringen. Nun können die Erfrierungen gewärmt und lokal desinfiziert werden. Auf alle aufgeplatzten Blasen wird antibiotische Salbe aufgetragen. Dazu bekommt Marc entzündungshemmende Medikamente und Schmerzmittel. Sechs Tage nach den Erfrierungen ist Marc wieder daheim und kommt in Zürich in unsere Praxis. Die Gewebsschädigung an der kleinen linken Zehe ist beträchtlich, der Zeh ist schwarz verfärbt. Bei Erfrierungen ist die Blutzufuhr an den betroffenen Stellen vermindert. Dadurch kommt es zu einem reduzierten Stoffwechsel, und die Zellen können absterben. Ich behandle vorerst mit einem starken Schmerzmittel und antibiotischer Salbe, da sich klinisch, wie auch im Labor keine generalisierte Infektion zeigt. Die Haut beider Füsse wird trocken und möglichst sauber gehalten. Um die Durchblutung zu verbessern, verschreibe ich durchblutungsfördernde Medikamente und Blutverdünner und mache eine Auffrischungsimpfung gegen Tetanus. Wichtig ist, möglichst lange mit einer Amputation zu warten, um Gewissheit zu haben, ob das Gewebe des Zehs wirklich tot oder nur schwer beschädigt ist. Oft sehen Erfrierungen am Anfang schlimmer aus, als sie sind. Es ist möglich, dass Gewebsschäden nach Wochen oder auch Monaten abheilen. Nach vier Monaten muss ich den Patienten dann aber leider doch zu einem Chirurgen zur Abgrenzung zwischen totem und ernährtem Gewebe und Amputation der kleinen Zehe überweisen. Geblieben sind dem Abenteurer ein Taubheitsgefühl in beiden Füssen und die Überempfindlichkeit gegen Kälte.

Dr. Danielle Gyurech (59) führt seit 1995 mit Dr. med. Julian Schilling die Travel Clinic in Zürich, eine Praxis für Reise- und Tropenmedizin. Danielle ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und bereist selbst leidenschaftlich gerne die Welt. ln der Rubrik «Dr. Travel» schildert sie anonymisierte Fälle aus ihrem Berufsalltag.