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thumbnail of Reisenews Vom Aff gebissen_Dr_Travel1Murielle und Eduard besuchen für drei Wochen Indonesien. Sie reisen via Singapur nach Lombok, wo sie
zuerst eine Woche im Süden der Insel kitesurfen. Die zweite Woche verbringen sie auf Gili Trawangan mit Baden und Tauchen. Die starken Strömungen trüben jedoch den Spass. Anfangs der dritten Woche setzen sie per Schiff nach Bali über, wo sie den Vulkan Gunung Agung besteigen. Am letzten Tag besuchen sie den schönen Tempel Ulu Watu im Süden von Bali. Was sie nicht wissen: Die Affen dort sind recht aggressiv. Sie werden von Touristen gefüttert und teilweise darauf getrimmt, Wertgegenstände wie Handys zu stehlen. Eduard steht neben einer Pagode und geniesst die Aussicht über eine Klippe, als sich ihm ein Makake von hinten nähert und ihm die auf die Stirn geschobene Sonnenbrille stibitzt. Schnell packt Eduard ein Bein des Affen, doch das wendige Tier beisst Eduard in den Arm. Murielle und Eduard sind nicht gegen Tollwut geimpft, und es dämmert ihnen, dass sie jetzt rasch reagieren müssen.

Im Siloam Nusa Dua Hospital erfahren die Reisenden, dass gerade weder Antikörper noch Tollwutimpfungen verfügbar sind. So fahren sie gegen Abend ins Murni Teguh Hospital Tuban Bali, wo sie zwar keine Antikörper erhalten, jedoch wenigstens eine Dosis eines indischen Tollwutimpfstoffs. Zudem wird die Wunde mit Wasser und Seife gründlich ausgewaschen. Noch in derselben Nacht buchen sie online einen Termin bei uns in der Praxis. Am folgenden Tag reisen die beiden heim. Tollwut wird durch ein Virus verursacht, das das Nervensystem befällt und zerstört. Wenn die Krankheit ausgebrochen ist, verläuft sie akut und praktisch ausnahmslos tödlich. Die ersten Symptome sind unspezifisch, es folgen Verwirrtheit, Atem- und Schluckkrämpfe und anderes. Weltweit sterben jährlich mindestens 60 000 Menschen an der Krankheit. Das Tollwutvirus kann durch einen Biss oder einen Kratzer eines tollwütigen Säugetiers oder durch Kontakt mit Speichel eines infizierten Tieres mit einer Haut- oder Schleimhautwunde übertragen werden. Jeder auch nur verdächtige Kontakt mit einem Säugetier in einem Endemiegebiet gilt als dringend tollwutgefährlich und muss notfallmässig behandelt werden. Als Eduard und Murielle bei uns ankommen, ist die Zeit für eine passive Impfung mit humanen Immunglobulinen bereits abgelaufen. Also beginnen wir eine Serie von aktiven Impfungen ungefähr an den Tagen 0, 3, 7 und 14. Vier Wochen nach der letzten Impfung überprüfen wir das Ansprechen auf die Impfungen, indem wir die Antikörper gegen Tollwut im Blut bestimmen. Wenn die beiden vorgängig geimpft worden wären, wäre kein Immunglobulin empfohlen gewesen, und wir hätten zur Sicherheit lediglich zwei Impfungen im Sinne einer Auffrischimpfung innerhalb von drei Tagen gemacht. Auch in gut versorgten Staaten kann es schwierig sein, Impfstoffe zu finden. Und auch in der Schweiz kommen Lieferengpässe immer häufiger vor. Die grösste Chance, in Endemiegebieten Impfstoff zu bekommen, hat man in internationalen Spitälern. Vielerorts werden lokale oder unbekannte Produkte verwendet, deren Qualität oft nicht dem internationalen Standard entspricht. Im Notfall muss aber trotzdem geimpft werden. Hinzu kommt, dass zum Beispiel in Indonesien eine sogenannte postexpositionelle Prophylaxe, also das Impfen nach dem Ereignis, schnell mal 2500 bis 3000 Franken kostet. Für eine Dosis Immunglobuline berechnen die Spitäler rund 1500 Franken. Für Eduard ist alles noch mal gut ausgegangen. Nach vier Wochen hat er zum Glück genügend Antikörper entwickelt. Und Murielle? Sie kommt einen Monat vor der nächsten Reise zur vorsorglichen Tollwutimpfung.

Dr. Danielle Gyurech (58) führt seit 1995 mit Dr. med. Julian Schilling die Travel Clinic in Zürich, eine Praxis für Reise- und Tropenmedizin. Danielle ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und bereist selbst leidenschaftlich gerne die Welt. In der Rubrik «Dr. Travel» schildert sie anonymisierte Fälle aus ihrem Berufsalltag.