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thumbnail of Dr. Travel Höhenkrankheit

Gaby und Markus verbringen ihre Ferien auf Sizilien. Sie starten früh am Morgen zur Talstation Rifugio Sapienza
am Silvestri-Krater des Ätnas. Der Ätna ist mit 3357 Metern der höchste aktive Vulkan Europas. Geplant ist eine etwa
sechsstündige Wanderung. Bei der Bergstation La Montagnola trifft das Paar seinen Bergführer.
Mit dem Geländefahrzeug erreichen sie eine Höhe von 2600 Metern. Der darauffolgende Aufstieg ist nicht besonders
beschwerlich, aber es bläst ein sehr kräftiger Wind, sodass sie sich teilweise an Gesteinsbrocken festhalten müssen.
Es ist anstrengend, und Gaby und Markus atmen schwer, obwohl sie beide körperlich recht fit sind.
Gaby bekommt Kopfschmerzen, ausserdem wird ihr übel. Nach etwa zwei Stunden kommen auch
noch Schwäche, Bewegungsstörungen und Atemnot dazu. Der Bergführer fragt bei der Talstation
per Funk nach, was er tun soll, denn er befürchtet eine Höhenkrankheit. Meine Familie
und ich sind in diesem Moment dabei, die Tickets bei der Station Rifugio Sapienzazu bezahlen.
Eine Mitarbeiterin bemerkt auf der Kreditkarte den Dr.-Titel und fragt, ob wir per Zufall Ärzte
seien und helfen könnten. Die Höhenkrankheit ist eine gefürchtete Komplikation beim Aufenthalt
in der Höhe. Sie wird durch Sauerstoffmangel und Hyperventilation verursacht. Auf
5000 Metern über Meer beträgt der Sauerstoffgehalt im Blut nur noch rund die Hälfte
verglichen mit dein auf Meereshöhe. Je niedriger der Blutsauerstoffgehalt, desto
grösser ist die Gefahr der Höhenkrankheit. Sie tritt ab ungefähr 2500 Metern bei rund
10 Prozent der Reisenden auf. Ab einer Höhe von 4000 Metern sind es bereits rund
50 Prozent. Alle, die sich in grosse Höhen begeben, können akut erkranken. Begünstigt
wird das Leiden durch fehlende Akklimatisation, einen zu schnellen Aufstieg, Höhen über
3000 Meter, grosse Anstrengungen und frühere Erfahrungen. Leider schützen bisherige positive
Erfahrungen mit Höhenverträglichkeit, Vortraining, gute Kondition und Jugend nicht davor,
an akuter Höhenkrankheit zu erkranken. Bei leichten Symptomen sollte der Aufstieg
unterbrochen werden. Wenn die Kopfschmerzen stärker werden und bei körperlicher Betätigung
zunehmend Atemnot auftritt, spricht man von einer mittelschweren Höhenkrankheit. Das
bedeutet, dass sich in der Lunge und im Hirn Wasser einlagert. Bei schwerer Atemnot und
wenn man plötzlich alles doppelt sieht oder Bewusstseinstrübungen auftreten, liegt eine
schwere akute Höhenkrankheit vor. Wir raten Gaby zum sofortigen Abstieg. Eine
Rettung per Helikopter ist wegen der sehr starken Böen nicht möglich. Gaby wird von Markus
und dem Bergführer gestützt und teilweise getragen. So schafft sie die rund 500 Höhenmeter
nach unten zum Geländewagen. Die Talfahrt kann beginnen. Am späteren Nachmittag können wir Gaby
untersuchen. Die typischen Symptome der akuten Höhenkrankheit wie Kopfschmerzen,
Atemnot, Schwäche, Übelkeit und Ataxie (unwillkürliche Bewegungen/ Bewegungsstörungen)
sind verschwunden. Wir stellen keine Rasselgeräusche auf der Lunge fest, was auf ein
Lungenödem hinweisen würde. Der sofortige Abstieg war die richtige Therapie.
Einige Wochen später in Zürich sehe ich Gaby und Markus in der Praxis. Sie möchten wissen,
wie sie sich beim nächsten Mal schützen können. lch rate Gaby, bei höher gelegenen Orten
darauf zu achten, dass ein sofortiger Abstieg möglich ist. Ausserdem muss sie unbedingt
immer genug trinken. Als Selbstkontrolle kann der Urin beobachtet werden. Er sollte hell und
klar bleiben. Daneben gibt es auch spezielle Medikamente gegen Höhenkrankheit. Sie
werden eingenommen, bis man definitiv absteigt oder gut akklimatisiert ist. Man sollte die
Medikamente unbedingt vor einer Tour in die Höhe ein paar Tage lang zu Hause testen,
selten kann sich eine Unverträglichkeit zeigen.

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